"Schwalbennest"-Orgel in St. Marien Lemgo

Die bewegte Geschichte eines historischen Kleinods

Die „Schwalbennest-Orgel“ in Lemgo ist „Orgel des Monats“ April

Ein Blick genügt - diese Orgel trägt ihren Namen zu Recht: Wie ein Schwalbennest schmiegt sich der dunkel getönte Klangkörper an die helle Wand im Nordschiff der Kirche St. Marien zu Lemgo. Die besondere, ovoide Form der Orgel aus Unterbau, Balustrade und Hauptwerk passt perfekt in das für sie vorgesehene Bogenfeld.

Drei Orgeln hat die dreischiffige, gotische Hallenkirche St. Marien; Kirchenmusik ist ein Schwerpunkt in der Gemeinde. Die „Schwalbennest-Orgel“ aber ist die besondere Attraktion im Kircheninneren – nicht nur, weil diese Art Orgeln grundsätzlich ungewöhnlich sind und selten zu finden. Bei genauerem Hinschauen fällt auf, dass das Instrument aus drei Gliederungselementen besteht: Unter dem giebelförmigen Orgelwerk befindet sich eine polygonale Balustrade mit Säulen und geschnitzten Füllungen, darunter dann ein kassettierter Unterbau, der die Namen derjenigen Gemeindeglieder trägt, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind.

Eine „Heldenorgel“ war die „Schwalbennest-Orgel“ natürlich nicht von Anfang an. Seit wann genau das Instrument existiert, ist nicht zweifelsfrei überliefert. Die Marienkirche in Lemgo wurde 1320 erbaut; ein Orgelspiel ist urkundlich im Jahr 1455 erwähnt. Fest steht, dass das heute vorhandene Gehäuse der „Schwalbennest-Orgel“ fast vollständig von „Orgemann“ Georg Schlegel geschaffen wurde. Schlegel, dem vom Rat der Stadt Lemgo bescheinigt wurde, sich in der „Verfertigung“ der „Orgell“ „erbawlich, aufrichtig und woll verhalten“ gezeigt zu haben, entstammte einer berühmten niederländischen Orgelbauerfamilie. Seine Arbeiten an der Orgel in St. Marien zogen sich bis in das Jahr 1595; erst dann gab es eine offizielle Einweihungsfeier, die sich die Gemeinde mit dem Ankauf von Fleisch, Fisch, Brot, Butter, Honig, Käse, Nüssen, Branntwein und Bier einiges kosten ließ. Insgesamt soll der Bau des Instruments rund sechshundert Taler gekostet haben.

Technische Innovationen und die weitere Entwicklung der Musikstile (von der Renaissance zum Frühbarock) machten eine Überarbeitung der „Schwalbennest-Orgel“ nur wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung nötig. Die zweite Bauphase übernahm ebenfalls ein berühmter „Meister“: Fritz Scherer stammte aus einer Orgelbauerfamilie, die von etwa 1537 an für fast ein Jahrhundert den Orgelbau in Nord- und Westdeutschland prägte. Er erweiterte den Tastenumfang in Manual und Pedal. Eingeweiht und zum ersten Mal gespielt wurde die Scherer-Orgel 1612.

In den folgenden Jahrhunderten wurden viele Reparaturen und kleinere Umbauten am Klangkörper vorgenommen, im 19. Jahrhundert ließ die Gemeinde ihren Schatz dann aber verkommen, und zwar so weit, dass 1887 eine neue Orgel auf der Westempore als Ergänzung gebaut werden musste. Immerhin: Die „Schwalbennest-Orgel“ wurde renoviert – allerdings erhielt sie im Zuge dieser Arbeiten 1932/33 schließlich den Charakter der „Heldenorgel“ zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges.

Die letzte große Sanierung der Orgel fand 1949/50 statt. Damit sie uneingeschränkt im Gottesdienst genutzt werden konnte, wurden dabei drei Manualwerke in das historisch nur für zwei Manuale vorgesehene Gehäuse eingebaut. Dieser Umbau blieb nicht folgenlos: Die Enge im Gehäuse macht Wartungs- und Reparaturarbeiten schwierig, vor allem in Teilen, die unmittelbar nach dem Krieg eingebaut wurden, ist oftmals Materialermüdung festzustellen.
Aus diesem Grund haben Ende vergangenen Jahres die Arbeiten zum Rückbau der historischen „Schwalbennest-Orgel“ begonnen. Seit Oktober werden nun nach und nach die historischen Pfeifen und Windladen gereinigt und restauriert, fehlende historische Teile mit alten Handwerkstechniken rekonstruiert.

Die Stiftung Orgelklang hat die „Schwalbennest-Orgel“ zur „Orgel des Monats April“ gekürt; sie beteiligt sich in diesem Jahr an den Kosten der Sanierung mit 10.000 Euro. In der St.-Marien-Gemeinde hofft man, dass das Instrument Ende Oktober wieder der norddeutschen Orgeltradition entsprechend und in neuem Glanz erstrahlen wird. Dann nämlich finden die Lemgoer Internationalen Orgeltage statt. Die Stiftung Orgelklang wünscht viel Erfolg!